Mittwoch, 1. Oktober 2008

Strandurlaub in Tonsupa

Nach nunmehr acht Wochen im Hochland Ecuadors beschlossen wir Freiwillige, dass wir endlich die dicht beieinander liegenden und extrem unterschiedlichen Gebiete Ecuadors ausnutzen wollten und tauschten kurzerhand den schneebedeckten Cotopaxi und die versmogte Luft Quitos gegen Strand und Palmen Esmeraldas.

Die Provinz Esmeraldas liegt nordwestlich von Quito und war früher ein Zufluchtsort für geflohene Sklaven, weshalb hier der größte Teil der Afro-Ecuadorianer beheimatet ist. Zusätzlich gilt die Provinz als ein extrem artenreiches und ökologisch wertvolles Gebiet, dass jedoch durch industrielle Garnelenzucht und Abholzung der tropischen Wälder stark gefährdet ist. Besonders die Mangrovensümpfe sind sehenswert und könnten die Region vor den schlimmsten Folgen des Naturphänomens "El Nino" bewahren, wenn sie nicht durch die Garnelenzucht mittlerweile zum Großteil zerstört wären.

In dieses tropische Gebiet also machten wir uns dann heiter, fröhlich und mit ausreichend Verpflegung ausgestattet auf. Nach sieben Stunden Busfahrt erreichten wir dann auch Atacames. Bis heute weiß niemand, warum wir nicht direkt in Tonsupa, unserem eigentlichen Zielort, ausgestiegen sind. Nicht das der Bus nicht ohnehin durch Tonsupa gefahren ist.
Aber so hatten wir immerhin die Möglichkeit für den gnadenlos überteuerten Preis von 2$ pro Person mit dem Mototaxi von Atacames nach Tonsupa zu fahren.


Mototaxis: Das sind Motorräder bzw. Mopeds, die mit Hilfe von zwei bis vier zusätzlichen Rädern von ausrangierten Fahrrädern und einem unerklärbaren zusätzlichen Aufbau mit mehr oder weniger ausreichenden Sitzen für Fahrgäste aufgemotzt wurden. Dabei scheint die Rechnung der Fahrer folgende zu sein:
1.Der Fahrpreis ist pro Person.
2.Umso mehr Personen, desto mehr Dinero
3.Das Mototaxi für gequetschte 3 Personen findet auf einmal Platz für 6-8


Hier hatte uns Parviz schon versprochen ein Haus zu kennen, in dem man für einen fairen Preis eine ganze Haushälfte mieten könnte. Nach etwas planlosem Herumfahren im Mototaxi fanden wir dann schließlich auch besagtes Haus und -Oh Wunder- es war tatsächlich eine Haushälfte frei.
Im Nachhinein nicht verwunderlich, hat die Schulzeit doch vor kurzem wieder angefangen und dementsprechend gab es auch kaum Touristen aus der Sierra.
So hatten wir sieben Freiwillige – Paul und Simon, Julia, Anna, Parviz, Kai und Ich – denn eine Residenz für unseren Urlaub gefunden.
Drei Schlaf-, ein Wohnzimmer, Küche und zwei Bäder samt Swimmingpool waren unser!
Wir konnten uns sogar hin und wieder dazu aufraffen die Küche zu nutzen und besonders Kai und Parviz waren extrem von dem vorhandenen Kabelfernsehen angetan. Trotz der Schwarz-Weiß-Beschränkung.
Auch der Pool musste so manche Party Wümmball ertragen, die wir im Innenhof des Hauses austrugen, nachdem uns Kai mit diesem Spiel vertraut gemacht hatte.


Wümmball: Man nehme zwei Mannschaften, einen ausreichend großen Platz und einen Swimmingpool. Spielgerät ist ein Ball beliebiger Form und Größe. Anschließend stelle man sich eine Horde wildgewordener Halbstarker vor, mische das mit Rugby und Wasserball, gebe eine Prise Brutalität dazu und schon hat man das sagenumwobene Spiel “Wümmball”.

Aber da wir schon so nah am Meer waren, nutzten wir auch diesen Umstand natürlich großzügig aus. Gleich am ersten Morgen der Ankunft machten Paul, Simon und ich uns auf, Strand und Meer zu erkunden. Leider geht die Sonne hier in Ecuador ja immer schon um 6 Uhr auf, so dass wir leider zu spät für den Sonnenaufgang waren. Da es aber sowieso das ganze Wochenende über bewölkt blieb, war das dann doch nicht so tragisch.
Nachdem wir gefrühstückt hatten und die anderen zu uns gestoßen waren, gammelten wir eigentlich nur den ganzen Tag am Strand und im Meer rum. Immer wieder aufgelockert wurde diese Zeit durch die ecuadorianischen Strandverkäufer, die in uns das Geschäft ihres Lebens witterten.
So durften wir also immer wieder die Saftverkäufer („Jugooo, quieres Jugo? Naranja!“) und Pseudofriseurinnen („Trensas?! Bonito, bonito!“) abwimmeln, die alle fünf Minuten aufs Neue vorbeikamen und teilweise einfach anfingen den Mädels die Haare zu flechten.
Als dann der erste Saft gekauft und die ersten Haare geflochten waren, hatten wir dann auch endlich unsere Ruhe und konnten unseren Abend planen... Wenn da nicht was gewesen wäre: Ley seco!


Ley seco: Zu deutsch „Trockenheitsgesetz“ bedeutet nichts anderes, als das zu Zeiten von Wahlen nichts getrunken werden darf. Sämtliche Kneipen und Clubs sind geschlossen und es ist ab 12 Uhr mittags zwei Tage vor der Wahl bis um Mitternacht des Wahltages nicht möglich Alkohol zu kaufen. Die Polizei fährt regelmäßig Streife und verhängt sehr hohe Strafen über Alkohol ausschenkende Lokale. Wer betrunken in der Öffentlichkeit aufgegriffen wird, wird einkassiert und verbringt die nächste Zeit hinter schwedischen Gardinen.

Also blieb die Partymeile Atacames für dieses Mal für uns verschlossen und es wurde spontan in ein entspanntes Wochenende umgeplant. Nachdem Parviz und Kai aus dubiosen Quellen doch noch etwas Alkohol aufgetrieben hatten war die Sache auch geritzt und wir machten uns abends unsere eigene Party im Haus.
Doch zuvor trafen wir noch drei andere Freiwillige aus unserer Gruppe, die offensichtlich nichts davon mitbekommen hatten, dass wir uns auch an den Strand aufmachen wollten und deshalb allein gefahren waren. Mit ihnen zusammen buchten wir noch eine Whale-Watching-Tour für den nächsten Tag und hatten damit unseren Freitag auch schon gut rumgebracht.

Nach ausgiebigem hausgemachtem Frühstück startete unsere Waltour morgens um 11 vom Strand Tonsupas aus. Mit wenig Hoffnung machten wir uns auf den Weg, da die eigentliche Saison um Wale zu sehen schon zu Ende war. Der ausschlaggebende Punkt für die Tour war der Preis gewesen und die Geldzurück-Garantie unseres Bootsführers.
Ausgestattet mit eher alibimäßigen Rettungswesten ließen wir in das wenig vertrauenerweckende Boot zu Wasser und waren schon bald weit draußen auf dem Meer auf der Suche nach Walen.
Mehr als eine halbe Stunde verging, ohne das wir auch nur einen Fisch gesehen hätten und wir machten uns gerade die Tour damit schmackhaft, dass so eine Rundfahrt auf dem Meer ja auch mal ganz schön ist, als plötzlich der Bootsführer aufgeregt in eine Richtung deutete und das Boot auf Maximalgeschwindigkeit beschleunigte.
Etwa 100 Meter vor uns war eine Finne aus dem Wasser aufgetaucht.
Doch bevor wir auch nur annähernd in die Nähe gekommen waren, verschwand der Wal auch schon wieder und ließ uns enttäuscht im Boot zurück. Auch die fünf anderen Whale-Watching-Boote hatten den Wal entdeckt und schon bald trieben wir in einem Pulk von sechs Booten auf der Stelle herum. Etwas ratlos kreuzte der Bootsführer im Meer herum, bis der Wal wieder auftauchte.
Näher als zuvor, doch wieder gab es wenig zu sehen, bevor der Wal abtauchte.
Kurze Zeit später entdeckten wir ihn wieder, doch anstatt diese Stelle anzusteuern, schipperte unser guter Ecuadorianer gemächlich davon und hielt die richtige Zeit für gekommen, den Preis neu zu verhandeln. Als wir uns schließlich auf eine weitere halbe Stunde geeinigt hatten, hatte sich der Wal schon wieder von dannen gemacht.
Gerade begannen wir uns zu fragen, ob sich das zusätzliche Geld wirklich gelohnt hatte, als unser Boot sich von den anderen zu entfernen begann und schließlich einsam ein gutes Stück entfernt im Meer trieb. Ob es Absicht des Bootsführers gewesen war oder nur Zufall.
Keine halbe Minute später tauchte keine 5 Meter von unserem Boot entfernt eine ganze Walfamilie auf. Die anschließende Zeit in der wir die Wale beim Spielen beobachten konnten war schlicht unbeschreiblich.
Ich kann nur jedem empfehlen, der die Möglichkeit hat, diese Erfahrung ebenfalls zu machen.
Nach der Rückkehr an den Strand bekamen wir das Angebot einen Ritt auf einer überdimensionalen Banane mitzumachen, aber nach dem gerade Erlebten fühlte sich niemand danach.
So ließen wir den Nachmittag an uns vorübertröpfeln und beschlossen am Abend Pizza essen zu gehen. Wir kehrten im Pizzapoint Tonsupa ein, wo uns der argentinische Wirt auch sofort begeistert empfing. (An Pauline: Ja, ich hab mich dran erinnert und ihn gefragt) Die Pizza war hervorragend, auch wenn der Wirt sich erstmal auf sein Quad schwingen musste, um die Zutaten einzukaufen.
An alle angehenden Tonsupabesucher: Hingehen!

Am nächsten Tag stand der Besuch von Muisne auf dem Programm, einer Insel, die berühmt für ihre Mangrovensümpfe ist. Nach einstündiger Busfahrt in dem überfülltesten Bus, den ich jemals in Ecuador gesehen habe, und einer kurzen Fährenfahrt erreichten wir Muisne.
Im dortigen Tourismusbüro wurden wir jedoch mit der Frage nach der Mangroventour nur abgewimmelt, dass heute geschlossen wäre. So machten wir uns etwas enttäuscht an den Strand auf und aßen die allgegenwärtigen Meeresfrüchte. Doch neben dem guten Essen ergab sich auch noch etwas anderes.
Der Besitzer des Restaurants kannte jemanden, der jemand kannte... Bis wir schließlich jemanden gefunden hatten, der doch noch mit uns in die Mangrovensümpfe fuhr.

Mangroven: Baumart, die an den Küsten Amerikas, Afrikas und Asiens vorkommt, dabei jedoch auf warmes Klima angewiesen ist. Mangroven wachsen an brackigen Flussmündungen oder direkt am Meer und sind an den hohen Salzgehalt des Wassers angepasst, indem sie überschüssige Salze ausscheiden und zusätzliches Wasser einlagern. Mangroven bilden ein ökologisch äußerst wertvolles Ökosystem, da sie durch die typischen Stelzwurzeln Laichplätze für viele Fische bieten und ihre Baumkronen gleichzeitig als Nistplatz für Seevögel dienen.
Hauptsächlich durch Garnelenzucht sind die Mangrovenbestände der Welt mittlerweile um 25% zurückgegangen, was für die örtliche Fischerei unmittelbare Folgen hat: Die Erträge gehen durch diese Zerstörung drastisch zurück.


Leider beschränkte sich die Tour auf eine Fahrt den Fluss hinauf und hinunter, zwar an den Mangroven vorbei, doch nicht wirklich begeisternd. Da auch das Wetter nicht wirklich mitspielte und wir auf dem Boot den einzigen Regen des ganzen Wochenendes miterlebten hielt sich diese Erfahrung in Grenzen. Sollte ich nochmal in der Gegend sein - was sicher der Fall sein wird – werde ich versuchen, mit einem Kanu direkt in die Sümpfe hineinzukommen.

Nach der Rückkehr nach Tonsupa und einem weiteren Abendessen beim argentinischen Surferkoch ließen wir uns schließlich mit dem Mototaxi nach Atacames fahren und stiegen dort in den Nachtbus. Nach einer mehr oder weniger bequemen Fahrt mit mehr oder weniger viel Schlaf erreichten wir Montagmorgen gegen 5 Uhr wieder Quito.
Die regnerische, kalte Sierra Ecuadors hatte uns wieder...

(Fotos finden sich wie immer in meinen Picasa-Alben...)

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