Samstag, 25. Oktober 2008

Angekommen in Ecuador oder Leben im Vorort von „Dogtown“

Nach dem ersten Wochenende in meiner Familie gibt es gleich nen ganzen haufen zu berichten, wenn ich es auch aus Zeit- und Internetmangel jetzt erst schaffe:

Was man bei dem für ecuadorianische Verhältnisse reichen Haus nicht erwartet hätte, ist dennoch eingetreten. Denn nach einer Woche wurde das Versprechen, mich auch im Rest der Familie einzuführen, eingehalten – Ganz im Gegensatz zum Versprechen, meine Hängematte aufzuhängen.

Dafür ging es Samstag Nachmittag nach „Lumbisi Zentrum“, was nichts anderes bedeutete, als dass die Häuserdichte von 5/Straße auf unglaubliche 15 pro Straße anwuchs. Hier ging es dann auch direkt in das Haus meiner neuen Großeltern, wo ich vor allem durch den Garten geführt wurde.
Denn wie es sich für eine traditionelle ecuadorianische Familie gehört, ist diese nicht nur groß, sondern lebt so weit es geht autark. So besitzen auch wir hier in Lumbisi einiges an Land, in dem ich demnächst wohl auch fleißig Mais, Kartoffeln und Tomaten anbauen werde.
Wo mir die Landwirtschaft doch im Blut liegt...

Aber weiter im Text.
Nach dem Besuch der Großeltern und um Dutzende von Pflanzennamen auf Spanisch reicher, die ich gleich wieder vergessen habe, wurde der nächste Teil der Familie besucht.
Die Großmutter väterlicherseits mit etlichen Cousins und Cousinen, Tanten und Onkeln, deren Namen ich entweder schon wieder vergessen oder gar nicht erst verstanden habe. Ganz davon abgesehen, dass hier in Lumbisi sowieso jeder mit jedem verwandt ist (also ist nicht nur die Bevölkerungsdichte ein Anhaltspunkt auf Verwandtschaft mit Brachbach...) kann ich zu allem Übel auch nicht zuordnen, wer jetzt über wen in welchem Verhältnis zu wem steht...
Nicht einmal das Alter ist ein Anhaltspunkt, da der Dreijährige um die Ecke ebenso gut mein Vetter, Onkel oder Neffe sein kann... Man kann nie wissen.

Abgeschlossen wurde der Tag mit dem Besuch bei Blanca, dem ecuadorianischen Part der Fundacion VASE, mit der ich jetzt auch irgendwie verwandt bin. Tante glaube ich... Kann auch nur an dem Grund liegen, dass wir beide in Lumbisi wohnen.
Nach der Einladung mit Blancas Bruder und Nicolas (mein Gastvater) am kommenden Wochenende zum Fischen in die Berge zu fahren und dort zu Campen stellten wir noch eine Mannschaft aus der Familie zusammen und liefen dann zum „Stadion“.
Erstaunlich gut ausgestattet mit zwei Basketballplätzen und drei mehr oder weniger gut in Stand gesetzten Fußballplätzen spielten wir zunächst 2 vs 2. Wobei es mehr darauf ankam, die anderen am Spiel zu halten und Spaß zu haben, als Körbe zu werfen. Aber das ist wohl die ecuadorianische Mentalität. Auch als noch vier andere Jugendliche aus Lumbisi mit ins Spiel kamen wurde das Spiel zwar gewinnorientierter, aber trotzdem nicht krampfhaft gewinnfixiert.
Ich bin mir nicht sicher, ob das verständlich erklärt ist, aber die ecuadorianische Mentalität muss man einfach selbst erleben, um es nachvollziehen zu können.
Abends fiel ich dann nur noch erschöpft und dank fehlender Sportschuhe um ein 2 € Stück großen Teil meiner Haut am Fuß ärmer ins Bett, um mich für den folgenden Familientag zu erholen.

Im Gegensatz zu der ursprünglichen Ankündigung, Sonntag um 6 Uhr morgens aufzustehen, um auf dem Feld der Familie zu arbeiten, konnte ich auch solange ausschlafen, wie es zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren eben zulassen. Zum Mittagessen ging es dann zur Schwägerin meines Gastvaters, die ein Stück außerhalb Lumbisis auf dem Land wohnt. Wobei auf dem Land hier soviel bedeutet, wie fünf Minuten Fußweg außerhalb des Zentrums.
Neben der freundlichen Einladung, ihr demnächst mal bei der Feldarbeit zu helfen, bei der ich mir bis jetzt nicht sicher bin, ob sie ironisch gemeint war, durfte ich auch Familienfotos bewundern und meine ersten beiden Live-Geflügelschlachtungen miterleben.
Schließlich sollte es zum Mittagessen Gans geben und meine Familie brauchte noch ein gerupftes und ausgenommenes Huhn für die folgende Woche.
Um es kurz zu machen:
Es war bei weitem nicht so schlimm oder eklig, wie man es sich vielleicht als verwöhnter Europäer vorstellt, nur der Moment in dem das Huhn kopflos weiterzappelt ist etwas ... gewöhnungsbedürftig.
Auch das Wissen, dass der Geschmack meiner Suppen zu einem Gutteil von Hühnerinnereien herrührt ist nicht unbedingt wünschenswert und bestätigt mich in meinem Verhalten, kein Fleisch aus der Suppe zu essen.

Dafür waren jedoch sowohl Suppe als auch die nachfolgenden Entenstücke mit Kartoffeln und einer Soße aus vorher gekochten Eiern sehr lecker, wenn auch etwas zäh. Aber da man hier ja sowieso mit den Händen isst, war das auch kein Problem. Neben diesen dorf-ecuadorianischen Erlebnissen, durfte ich auch noch mit der Manifestation des Teufels in Form einer Babykatze Bekanntschaft machen. Das der Name Beelzebub für so viel Skepsis sorgen könnte, hätte ich nicht erwartet, doch da hatte ich nicht mit dem katholischen Ecuador gerechnet. Meine Gasteltern waren beide nicht sonderlich begeistert über den Namen, während die erstaunlich aufgeklärte, wenn auch arme Besitzerin der Katze nur lachte.
Überhaupt wurde während des ganzen Wochenendes sehr viel gelacht, sehr viel geredet und sehr viel über Deutschland und Europa gefragt. Ein gelungenes Wochenende in einer riesigen, herzlichen Familie – Also genau das, was ich eigentlich von meiner ecuadorianischen Gastfamilie erhofft hatte.

Samstagsergaenzung:
Die Uebernachtung in den Bergen von Papallacta ist flachgefallen, da irgendjemand irgendwem abgesagt hat, Nicolas ne Grippe hat und es sowieso viel zu kalt war... Schade eigentlich, aber es laesst sich ja wiederholen.

Samstag, 18. Oktober 2008

Trautes Heim, Glueck allein und “¡Yo tengo un Corazon para mi profe!”

Eine Woche im neuen Zuhause mit einer weiteren Arbeit ist ins Land gezogen und langsam wird es auch mal wieder Zeit den Blog auf den neuesten Stand zu bringen. Das wird aber auch in naechster Zeit wohl immer ein wenig laenger dauern, da ich jetzt auf Internetcafès angewiesen bin und nicht mehr das Glueck habe, bequem von zuhause den Blog aktualisieren zu koennen.
Doch von vorne:
Nach der Zeit bei Tato ging es letzte Woche Dienstag in meine neue Familie in Lumbisi, einem kleinen Ort etwas naeher an Quito und vor allem auch naeher an meinem Projekt. Hier wohne ich jetzt im zweiten Stock eines grossen Hauses, dessen untere Etage jedoch fuer einen Schreibwarenladen genutzt wird.
Alles in allem muss ich auch weiterhin keine grossen Abstriche an Lebensqualitaet machen, wie das anderen Volunteers bereits passiert ist, da ich ein eigenes Zimmer mit eigenem Bad und mehr oder weniger warmes Wasser habe. Alles nicht so gross, wie bei Salazars, auch kein Internet, aber ich fuehle mich doch deutlich wohler.

Meine neue Familie besteht aus Maria und Marinesoldat Nicolas, sowie den beiden Kindern Nicole (5) und Mattheo (2), alles in allem also eine sehr junge Familie, die mich sehr herzlich aufgenommen haben, und in der ich mich gleich als Teil der Familie gefuehlt habe. Hier ersetzen jetzt Gespraeche das Internet und die Versuche, Mattheo von meiner Laptoptastatur fernzuhalten die Bitten um Deutschnachhilfe.
Zudem, ich haette es ja nicht gedacht, kann ecuadorianisches Essen wirklich lecker sein!
Mit ein paar Gewuerzen und Kraeutern anstelle eines Ernaehrungsplans kann man auch aus “Pollo y arroz” (Haehnchen und Reis) eine wohlschmeckende Mahlzeit zubereiten…
Auch sonst kann ich mich kaum beklagen, hat meine Familie doch gleich mein ganzes Wochenende verplant und wird mich wohl spaeter am Tag noch dem Rest der Familie vorstellen und einiges mit mir unternehmen.
Der kleine Wermutstropfen ist die ecuadorianische Erziehung, die dazu fuehrt, dass die beiden Kinder im Haus wenig hoeren, dafuer aber umso mehr Scheisse bauen. Aber dafuer gibts ja dann meine vierzehnjaehrige Cousine vor Ort, die Tag fuer Tag mitisst und entweder in der Papeleria mit Hausaufgaben hinter dem Tresen steht oder aber auf die Kinder aufpasst.

Im Gegensatz zu meiner ersten Familie liess sich hier auch schon der eine der andere Kulturschock erleben, da sich das Bildungsgefaelle ind er ecuadorianischen Gesellschaft doch deutlich zu zeigen beginnt.
So habe ich die ersten zwei Tage nur mit dem Loeffel gegessen, auf meine spaetere Frage nach Messer und Gabel wurde erst verdutzt geschaut und dann das alte Marinegeschenk des Vaters, ein sechsteiliges Besteckset hervorgekramt.
Von diesem Tag an ist auch der Rest der Familie fleissig das Essen mit Messer und Gabel am Ueben.
Auch die Esskultur im Ganzen bleibt ein wenig auf der Strecke, da weder zusammen gegessen wird, noch das Essen genossen, sondern mehr geschlungen wird.
Ebenso wie mit Emma – btw¡Ich VERMISSE Emma!- gab es dann auch schon einen kurzen Geografieexkurs, sowie eine kleine Erklaerung, warum denn in Europa alles teurer ist und woher die verdammten Gringos eigentlich soviel mehr Geld haben als der Rest.
Dafuer weiss ich mittlerweile, was die “buque” ist, habe einen Einblick in das Leben eines ecuadorianischen Marinesoldaten bekommen, presse mir jeden Morgen meinen Orangensaft selbst und geniesse das Leben in einer auesserst warmherzigen Familie mit manchmal recht anstrengenden Kindern.

A propos anstrengende Kinder.
Mittlerweile helfe ich ja ein bisschen in einem Kindergarten aus, da die Leiterin Yolita ueber den ehemaligen Volunteer Dominik in der Fundación VASE nach Hilfe gefragt hat. Da ich sowieso in der Naehe arbeite und ja ein kinderlieber Mensch bin, mache ich meine Unterichtsvorbereitung jetzt nachmittags und gehe dafuer in meinen Freistunden Richtung “Guarderia Santa Inèz”.
Nach meinen ersten Stunden in der Guarderia weiss ich auch, warum die Latinos sprichwoertlich den Rhythmus im Blut haben. Denn die Minuten, in denen in der Guarderia keine Musik laeuft, gesungen oder getanzt wird lassen sich an einer Hand abzaehlen. Unter der Leitung der unglaublich energischen und liebevollen Yolita werden hier zu allen moeglichen lateinamerikanischen Kinderliedern Lieder fuer das Wetter gesungen, mit den Haenden ganze Stapel von Blaettern gelb angemalt und kleine Papierschnipsel aufgeklebt.
Und obwohl sich der Kindergarten rein durch Spenden finanziert, erhalten die Kinder Fruehstueck und Mittagessen, haben eine Vielzahl von Spielsachen und Material zum Basteln und Malen. Aeusserst beeindruckend.
Ebenso beeindruckend fortschrittlich fuer das doch sehr rassistische Ecuador ist das Erziehungskonzept von Gleichheit und gegenseitigem Verstaendnis. Auch wenn ich diese Arbeit weder fuer den Rest meines Lebens machen wollte, noch laenger als vier Stunden am Tag, so kann ich hier doch sehr viel mitnehmen, nicht zuletzt die Hochachtung vor Kindergaertnerinnen, die acht Stunden oder laenger am Tag mit einer Horde unerzogener Blagen aushalten muessen, ohne dass diese sich gegenseitig umbringen.

Eine Anekdote aus dem Kindergarten zum Abschluss:
Ich konnte es kaum glauben, als der groesste, kraeftigste Junge der Guarderia am zweiten Tag meiner Arbeit zu mir kam und mir wehmuetig eroeffnete: “Profe, ich habe keine Freunde!” Damit nicht genug hatte er auch noch die feste Absicht mich als seinen Freund zu gewinnen mit den Worten: “Ich habe ein Herz fuer meinen Profe!”
Sehr verdutzt habe ich ihn einfach nur zu den anderen geschickt und ihm gesagt, dass alle hier seine Freunde sind… Komische Welt…

Al fin: Fotos aus Tatos Haus sowie vom Trip nach Ibarra stehen auf Picasa online, Fotos aus der Guarderia, von meiner Familie und hoffentlich auch mal aus meinem Colegio kommen spaeter…

Leben bei Tato und eine Reise in den Norden

Eine kurze Übergangszeit bei Tato, meinem Kurzzeitvater und Besitzer des wahrscheinlich größten Bed&Breakfast von ganz Ecuador leitete mein „neues“ Leben hier in Ecuador ein.
Mit selbst für europäische Verhältnisse großem Luxus, riesigen Zimmern, eigenem Badezimmer mit Badewanne und einem begehbaren Kleiderschrank von der Größe eines eigenen Zimmers ließ sich die Übergangszeit bis zum Umzug in die neue Familie einfach verbringen.
Doch nicht nur der Luxus in diesem Haus war gigantisch, auch die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen, die es bewohnen.

Tatos Bed&Breakfast: Nur 20 Betten, dafür aber in einer Villa, die einem spanischen Kolonialherren würdig wäre. Etwas außerhalb von Quito in Cumbaya gelegen, was aber kein Problem darstellt, da der englischsprachige Besitzer gerne einen Abholservice vom Flughafen organisiert. Große Zimmer, warmes Wasser, Internet, dazu Hängematten, die dazu einladen in der Sonne der Sierra zu entspannen.
Dazu familiäre Besitzer mit einem riesigen Herz und das alles für 25$ (EZ), 35$ (DZ), 45$ (3er).
Schon allein wegen der Tipps zu sehenswerten Plätzen sowie zugehöriger Organisation des Besitzers den Besuch wert.


Tato, der Besitzer des Bed&Breakfast mit zahlreichen Nebenjobs und seinem Studium in den USA, seine Frau Christina, die als Chemie und Biologielehrerin arbeitet, sowie ihr überaus aktiver Sohn Nicholas nahmen mich so freundlich auf, dass ich mich nie als Kunde, denn mehr als Teil der Familie fühlte. Dieses Gefühl verstärkte sich nur noch mehr, als ich eines Tages -zugegeben nach einer langen Partynacht zuvor- hundeelend und mit mehr als nur einer Magenverstimmung im Bett lag und ich kurzerhand mit zu Tatos Familie genommen wurde.
„Ich will dich in meiner Nähe haben, wenn es dir schlecht geht!“

Doch nicht nur dies war in Tatos Haus zu erleben, da auch Jakob und Parviz ihre Familie wechseln, lebten wir drei für nahezu eine Woche, zusammen mit Vera und ihrer Mutter, die wieder nach Hause geflogen ist und zum Übergang ebenfalls bei Tato wohnte.
So hatten wir einige lustige Abende und lehrreiche Erfahrungen über die Mentalität der Latinos am Beispiel Tatos:
Schneide niemals ein Auto! Der Besitzer verfolgt dich bis ans Ende der Welt... Wenn er dich nicht aufgrund eines langsamen Autos ziehen lassen muss.
Respektiere deinen Gegenüber! Wenn eine Gruppe zu einem Barbecue eingeladen ist und sich plötzlich überlegt, doch lieber in den Kurzurlaub zu fahren, ohne Bescheid zu sagen...
Einer der einfachsten Wege, selbst die geduldigsten Leute zu vergraulen.
Abgeschlossen wurde diese Zeit von einer Wochenendreise nach Ibarra.

Ibarra: Oder „Die weiße Stadt“ liegt nach aktuellen Reiseführern etwa 2,5 h nördlich von Quito, man sollte jedoch immer die Anfahrtszeit zum entsprechenden Busbahnhof einberechnen, was den Weg schonmal au 4 Stunden bringen kann. Ibarra dient als Ausgangspunkt für Reisen nach Otavalo oder Cotacachi und ist bei Touristen als Startpunkt für die Zugfahrt Ibarra-Salinas bekannt. Persönlicher Tipp: Außer für den Zug nicht die Reise wert.

Nachdem sich unser Start um einen Tag verschoben hatte (s.o.), dafür aber eine Begleitperson mehr eingebracht hatte, machten sich Julia und Jakob, sowie meine Wenigkeit auf den Weg nach Ibarra. Wir hatten die Reise schon vorher geplant, doch die Planung so oft umgeworfen und erneuert/ergänzt, dass es uns schließlich nichts ausmachte, sie ganz über Bord zu werfen, als uns der andauernde Regen endgültig einen Strich durch die Rechnung machte.
So war am ersten Tag statt einem Lagunenbesuch nicht mehr drin als der erneute Besuch von Otavalo, wo Julia und ich nach einigem Feilschen jeweils eine Hängematte für unschlagbare 11 Dollar erstanden.

Otavalo: Der größte Indígena-Markt der Andenregion wartet mit einer unglaublichen Vielzahl von handgemachten Produkten aus Wolle, Holz und Vulkangestein auf. Die hier lebenden Indígenas sind durch die hohe Zahl von Touristen sehr wohlhabend, ohne dabei jedoch ihre Wurzeln zu vergessen oder gar verleugnen zu wollen – wie man es oft in Quito findet. Hier wird noch die traditionelle Tracht getragen und barfuß gelaufen, um mit Pacha Mama in Verbindung zu bleiben. Dagegen weist der Markt selbst oftmals ein Schwarzmarktflair auf, das seinesgleichen gesucht. Gefälschte Ware zu Dumpingpreisen zwischen den authentischen handgefertigten Ponchos und Panamahüten, sowie die Möglichkeit den Preis jeder Ware um 30% bis 80% zu drücken machen den Besuch von Otavalo zum Erlebnis.

Von dort ging es auf direktem Wege weiter nach Ibarra, wo wir uns eine Herberge suchten. Das war jedoch mit dem Problem verbunden, dass jeder Herbergsvater uns auf unsere Hautfarbe reduzierte und die Dollarzeichen in den Augen zu blinken begannen.
So lehnten wir denn auch die erste Herberge ab, in der uns gnadenlos überteuerte Preise nicht zu verhandeln waren. Dafür kehrten wir dann in der zweiten Herberge ein, deren Besitzer uns nicht nur herzlich willkommen hieß, sondern uns auch eifrig seine Vielzahl an gesammelten Schnapsfläschchen zeigte.
Belustigt und mit der Gewissheit, eine Unterkunft für die Nacht zu haben, machten wir uns auf den Weg, dass angeblich beste Eis Ecuadors zu essen und etwas zu essen zu suchen, um danach gestärkt das Nachtleben Ibarras unsicher zu machen.
Das Eis war in Ordnung, die zuvor ausgesprochenen Lobeshymnen konnten jedoch nicht bestätigt werden, auch wenn das Eis noch traditionell aus großen Bronzepfannen geschabt wird.
Dafür gab es ein Abendessen, dass sich mit allem messen konnte, was ich jemals gegessen habe – Selbstgekochtes mal ausgeklammert.
„Donde el Argentino“ verwöhnte uns mit unglaublich guten Steaks, die nicht nur mit Qualität, sondern auch mit Quantität auftrumpfen konnten. Ein Steak, wie ich es besser noch nicht gegessen habe!

Gesättigt und zufrieden rollten wir Richtung „Cafe Arte“, wo wir nicht nur einen guten Wiskhey und eine, dem Namen alle Ehre machende Speisekarte antrafen, sondern auch die in Ecuador offenbar allgegenwärtigen Deutschen. Doch nach den Strapazen des Tages und Vortages waren wir alle nicht in allzu großer Partystimmung und machten uns deshalb früh wieder auf zu den Schnapsfläschchen, um eine angenehme Nacht zu verbringen.
Schließlich sollte es am nächsten Morgen schon um 7 Uhr weitergehen. Die Zugfahrt stand auf dem Plan.
Nach einer kleinen und äußerst günstigen Stärkung in einer örtlichen Panaderia konnten wir uns auch im Schienenbus platzieren. Der seinem Namen alle Ehre machte, da der ganze „Zug“ nur aus einem auf Schienen gestellten Bus bestand, mit der Ausnahme, dass die Möglichkeit bestand, sich auch aufs Dach zu setzen.
Zwar war dies während der Fahrt durch Ibarra selbst nicht möglich...

... da seit einigen Jahren, das Fahren auf dem Dach verboten ist. Dies geht auf den Fall zweier Japaner zurück, die während der Fahrt die Bekanntschaft von den in Ecuador üblichen Siemens Luftleitungen machten. Mit tödlichem Ausgang.

Doch nach dem Verlassen der Stadt konnten wir uns alle einen Platz auf dem Dach sichern, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die langsam vorbeiziehende Sierra-Landschaft hat und konnten auch eine Vielzahl an Fotos schießen. Aufgelockert wurde die zweistündige Fahrt durch acht Tunnel, durch die mit besonders hoher Geschwindigkeit und lautem Gekreisch der Passagiere gefahren wurde.
Nebenbei trafen wir auch ein Pärchen aus Ecuadorianerin und Schweden, die ebenfalls auf Entdeckungsreise durch Ibarra und Umgebung waren und uns empfahlen, den „Parque del Condor“ zu besuchen, was wir auch nach Abschluss der Zugreise gerne in Angriff nahmen.
Mit dem Bus ging es wieder zurück nach Ibarra -die Busfahrt dauerte 45 Minuten, der Zug benötigte für die selbe Strecke zwei Stunden- und von dort nach Otavalo.
Zum Kondorpark kamen wir dann via Taxi, doch der Park selbst hielt keine Dinge von großem Unterhaltungswert bereit, wenn man mal von dem Erlebnis absieht, einen 1,20 Meter großen Kondor aus drei Meter Entfernung bestaunen zu können.
Auch die nächste Flugshow war leider zu spät für uns, da wir schließlich noch nach Quito zurück mussten. So verließen wir den recht kleinen Park bald wieder und machten uns auf den Weg zurück in die kalte Hauptstadt Ecuadors.
Hier wurden wir auch prompt wieder von Regenschauern empfangen, so dass wir alle uns nur so schnell wie möglich auf den Weg nach Hause machten...

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Strandurlaub in Tonsupa

Nach nunmehr acht Wochen im Hochland Ecuadors beschlossen wir Freiwillige, dass wir endlich die dicht beieinander liegenden und extrem unterschiedlichen Gebiete Ecuadors ausnutzen wollten und tauschten kurzerhand den schneebedeckten Cotopaxi und die versmogte Luft Quitos gegen Strand und Palmen Esmeraldas.

Die Provinz Esmeraldas liegt nordwestlich von Quito und war früher ein Zufluchtsort für geflohene Sklaven, weshalb hier der größte Teil der Afro-Ecuadorianer beheimatet ist. Zusätzlich gilt die Provinz als ein extrem artenreiches und ökologisch wertvolles Gebiet, dass jedoch durch industrielle Garnelenzucht und Abholzung der tropischen Wälder stark gefährdet ist. Besonders die Mangrovensümpfe sind sehenswert und könnten die Region vor den schlimmsten Folgen des Naturphänomens "El Nino" bewahren, wenn sie nicht durch die Garnelenzucht mittlerweile zum Großteil zerstört wären.

In dieses tropische Gebiet also machten wir uns dann heiter, fröhlich und mit ausreichend Verpflegung ausgestattet auf. Nach sieben Stunden Busfahrt erreichten wir dann auch Atacames. Bis heute weiß niemand, warum wir nicht direkt in Tonsupa, unserem eigentlichen Zielort, ausgestiegen sind. Nicht das der Bus nicht ohnehin durch Tonsupa gefahren ist.
Aber so hatten wir immerhin die Möglichkeit für den gnadenlos überteuerten Preis von 2$ pro Person mit dem Mototaxi von Atacames nach Tonsupa zu fahren.


Mototaxis: Das sind Motorräder bzw. Mopeds, die mit Hilfe von zwei bis vier zusätzlichen Rädern von ausrangierten Fahrrädern und einem unerklärbaren zusätzlichen Aufbau mit mehr oder weniger ausreichenden Sitzen für Fahrgäste aufgemotzt wurden. Dabei scheint die Rechnung der Fahrer folgende zu sein:
1.Der Fahrpreis ist pro Person.
2.Umso mehr Personen, desto mehr Dinero
3.Das Mototaxi für gequetschte 3 Personen findet auf einmal Platz für 6-8


Hier hatte uns Parviz schon versprochen ein Haus zu kennen, in dem man für einen fairen Preis eine ganze Haushälfte mieten könnte. Nach etwas planlosem Herumfahren im Mototaxi fanden wir dann schließlich auch besagtes Haus und -Oh Wunder- es war tatsächlich eine Haushälfte frei.
Im Nachhinein nicht verwunderlich, hat die Schulzeit doch vor kurzem wieder angefangen und dementsprechend gab es auch kaum Touristen aus der Sierra.
So hatten wir sieben Freiwillige – Paul und Simon, Julia, Anna, Parviz, Kai und Ich – denn eine Residenz für unseren Urlaub gefunden.
Drei Schlaf-, ein Wohnzimmer, Küche und zwei Bäder samt Swimmingpool waren unser!
Wir konnten uns sogar hin und wieder dazu aufraffen die Küche zu nutzen und besonders Kai und Parviz waren extrem von dem vorhandenen Kabelfernsehen angetan. Trotz der Schwarz-Weiß-Beschränkung.
Auch der Pool musste so manche Party Wümmball ertragen, die wir im Innenhof des Hauses austrugen, nachdem uns Kai mit diesem Spiel vertraut gemacht hatte.


Wümmball: Man nehme zwei Mannschaften, einen ausreichend großen Platz und einen Swimmingpool. Spielgerät ist ein Ball beliebiger Form und Größe. Anschließend stelle man sich eine Horde wildgewordener Halbstarker vor, mische das mit Rugby und Wasserball, gebe eine Prise Brutalität dazu und schon hat man das sagenumwobene Spiel “Wümmball”.

Aber da wir schon so nah am Meer waren, nutzten wir auch diesen Umstand natürlich großzügig aus. Gleich am ersten Morgen der Ankunft machten Paul, Simon und ich uns auf, Strand und Meer zu erkunden. Leider geht die Sonne hier in Ecuador ja immer schon um 6 Uhr auf, so dass wir leider zu spät für den Sonnenaufgang waren. Da es aber sowieso das ganze Wochenende über bewölkt blieb, war das dann doch nicht so tragisch.
Nachdem wir gefrühstückt hatten und die anderen zu uns gestoßen waren, gammelten wir eigentlich nur den ganzen Tag am Strand und im Meer rum. Immer wieder aufgelockert wurde diese Zeit durch die ecuadorianischen Strandverkäufer, die in uns das Geschäft ihres Lebens witterten.
So durften wir also immer wieder die Saftverkäufer („Jugooo, quieres Jugo? Naranja!“) und Pseudofriseurinnen („Trensas?! Bonito, bonito!“) abwimmeln, die alle fünf Minuten aufs Neue vorbeikamen und teilweise einfach anfingen den Mädels die Haare zu flechten.
Als dann der erste Saft gekauft und die ersten Haare geflochten waren, hatten wir dann auch endlich unsere Ruhe und konnten unseren Abend planen... Wenn da nicht was gewesen wäre: Ley seco!


Ley seco: Zu deutsch „Trockenheitsgesetz“ bedeutet nichts anderes, als das zu Zeiten von Wahlen nichts getrunken werden darf. Sämtliche Kneipen und Clubs sind geschlossen und es ist ab 12 Uhr mittags zwei Tage vor der Wahl bis um Mitternacht des Wahltages nicht möglich Alkohol zu kaufen. Die Polizei fährt regelmäßig Streife und verhängt sehr hohe Strafen über Alkohol ausschenkende Lokale. Wer betrunken in der Öffentlichkeit aufgegriffen wird, wird einkassiert und verbringt die nächste Zeit hinter schwedischen Gardinen.

Also blieb die Partymeile Atacames für dieses Mal für uns verschlossen und es wurde spontan in ein entspanntes Wochenende umgeplant. Nachdem Parviz und Kai aus dubiosen Quellen doch noch etwas Alkohol aufgetrieben hatten war die Sache auch geritzt und wir machten uns abends unsere eigene Party im Haus.
Doch zuvor trafen wir noch drei andere Freiwillige aus unserer Gruppe, die offensichtlich nichts davon mitbekommen hatten, dass wir uns auch an den Strand aufmachen wollten und deshalb allein gefahren waren. Mit ihnen zusammen buchten wir noch eine Whale-Watching-Tour für den nächsten Tag und hatten damit unseren Freitag auch schon gut rumgebracht.

Nach ausgiebigem hausgemachtem Frühstück startete unsere Waltour morgens um 11 vom Strand Tonsupas aus. Mit wenig Hoffnung machten wir uns auf den Weg, da die eigentliche Saison um Wale zu sehen schon zu Ende war. Der ausschlaggebende Punkt für die Tour war der Preis gewesen und die Geldzurück-Garantie unseres Bootsführers.
Ausgestattet mit eher alibimäßigen Rettungswesten ließen wir in das wenig vertrauenerweckende Boot zu Wasser und waren schon bald weit draußen auf dem Meer auf der Suche nach Walen.
Mehr als eine halbe Stunde verging, ohne das wir auch nur einen Fisch gesehen hätten und wir machten uns gerade die Tour damit schmackhaft, dass so eine Rundfahrt auf dem Meer ja auch mal ganz schön ist, als plötzlich der Bootsführer aufgeregt in eine Richtung deutete und das Boot auf Maximalgeschwindigkeit beschleunigte.
Etwa 100 Meter vor uns war eine Finne aus dem Wasser aufgetaucht.
Doch bevor wir auch nur annähernd in die Nähe gekommen waren, verschwand der Wal auch schon wieder und ließ uns enttäuscht im Boot zurück. Auch die fünf anderen Whale-Watching-Boote hatten den Wal entdeckt und schon bald trieben wir in einem Pulk von sechs Booten auf der Stelle herum. Etwas ratlos kreuzte der Bootsführer im Meer herum, bis der Wal wieder auftauchte.
Näher als zuvor, doch wieder gab es wenig zu sehen, bevor der Wal abtauchte.
Kurze Zeit später entdeckten wir ihn wieder, doch anstatt diese Stelle anzusteuern, schipperte unser guter Ecuadorianer gemächlich davon und hielt die richtige Zeit für gekommen, den Preis neu zu verhandeln. Als wir uns schließlich auf eine weitere halbe Stunde geeinigt hatten, hatte sich der Wal schon wieder von dannen gemacht.
Gerade begannen wir uns zu fragen, ob sich das zusätzliche Geld wirklich gelohnt hatte, als unser Boot sich von den anderen zu entfernen begann und schließlich einsam ein gutes Stück entfernt im Meer trieb. Ob es Absicht des Bootsführers gewesen war oder nur Zufall.
Keine halbe Minute später tauchte keine 5 Meter von unserem Boot entfernt eine ganze Walfamilie auf. Die anschließende Zeit in der wir die Wale beim Spielen beobachten konnten war schlicht unbeschreiblich.
Ich kann nur jedem empfehlen, der die Möglichkeit hat, diese Erfahrung ebenfalls zu machen.
Nach der Rückkehr an den Strand bekamen wir das Angebot einen Ritt auf einer überdimensionalen Banane mitzumachen, aber nach dem gerade Erlebten fühlte sich niemand danach.
So ließen wir den Nachmittag an uns vorübertröpfeln und beschlossen am Abend Pizza essen zu gehen. Wir kehrten im Pizzapoint Tonsupa ein, wo uns der argentinische Wirt auch sofort begeistert empfing. (An Pauline: Ja, ich hab mich dran erinnert und ihn gefragt) Die Pizza war hervorragend, auch wenn der Wirt sich erstmal auf sein Quad schwingen musste, um die Zutaten einzukaufen.
An alle angehenden Tonsupabesucher: Hingehen!

Am nächsten Tag stand der Besuch von Muisne auf dem Programm, einer Insel, die berühmt für ihre Mangrovensümpfe ist. Nach einstündiger Busfahrt in dem überfülltesten Bus, den ich jemals in Ecuador gesehen habe, und einer kurzen Fährenfahrt erreichten wir Muisne.
Im dortigen Tourismusbüro wurden wir jedoch mit der Frage nach der Mangroventour nur abgewimmelt, dass heute geschlossen wäre. So machten wir uns etwas enttäuscht an den Strand auf und aßen die allgegenwärtigen Meeresfrüchte. Doch neben dem guten Essen ergab sich auch noch etwas anderes.
Der Besitzer des Restaurants kannte jemanden, der jemand kannte... Bis wir schließlich jemanden gefunden hatten, der doch noch mit uns in die Mangrovensümpfe fuhr.

Mangroven: Baumart, die an den Küsten Amerikas, Afrikas und Asiens vorkommt, dabei jedoch auf warmes Klima angewiesen ist. Mangroven wachsen an brackigen Flussmündungen oder direkt am Meer und sind an den hohen Salzgehalt des Wassers angepasst, indem sie überschüssige Salze ausscheiden und zusätzliches Wasser einlagern. Mangroven bilden ein ökologisch äußerst wertvolles Ökosystem, da sie durch die typischen Stelzwurzeln Laichplätze für viele Fische bieten und ihre Baumkronen gleichzeitig als Nistplatz für Seevögel dienen.
Hauptsächlich durch Garnelenzucht sind die Mangrovenbestände der Welt mittlerweile um 25% zurückgegangen, was für die örtliche Fischerei unmittelbare Folgen hat: Die Erträge gehen durch diese Zerstörung drastisch zurück.


Leider beschränkte sich die Tour auf eine Fahrt den Fluss hinauf und hinunter, zwar an den Mangroven vorbei, doch nicht wirklich begeisternd. Da auch das Wetter nicht wirklich mitspielte und wir auf dem Boot den einzigen Regen des ganzen Wochenendes miterlebten hielt sich diese Erfahrung in Grenzen. Sollte ich nochmal in der Gegend sein - was sicher der Fall sein wird – werde ich versuchen, mit einem Kanu direkt in die Sümpfe hineinzukommen.

Nach der Rückkehr nach Tonsupa und einem weiteren Abendessen beim argentinischen Surferkoch ließen wir uns schließlich mit dem Mototaxi nach Atacames fahren und stiegen dort in den Nachtbus. Nach einer mehr oder weniger bequemen Fahrt mit mehr oder weniger viel Schlaf erreichten wir Montagmorgen gegen 5 Uhr wieder Quito.
Die regnerische, kalte Sierra Ecuadors hatte uns wieder...

(Fotos finden sich wie immer in meinen Picasa-Alben...)