Freitag, 17. April 2009

Die Brennnesselflagellanten von Cuyabeno

Endlich, endlich, endlich sollten wir also das letzte Klimagebiet Ecuadors kennenlernen.
Nach zweiwöchiger Rundreise entlang der Küste und zahlreichen Ausflügen zu Indígena-Märkten und Großstädten der Sierra hatten wir uns für die Osterferien einen Ausflug in den ecuadorianischen Dschungel vorgenommen.
Mit einer Reiseagentur aus einer recht entfernten Stadt, die uns bei einem Besuch dort schon ein günstiges Angebot für eine fünftägige Dschungeltour gemacht hatte ging es also Mittwochabend im Bus nach Osten.
In den Osten, wo der grüne Oriente uns mit seinen Urwaldriesen und mäandernden Dschungelflüssen erwarten sollte und nahe der kolumbianischen Grenze die FARC ihre Drogenplantagen hat. Wo skrupellose Ölfirmen aus aller Welt die ecuadorianischen Ölvorkommen ausbeuten und nichts als zerstörte Natur und Schwerölteiche zurücklassen.
In eines der artenreichsten Gebiete der Welt, eines der soldatenreichsten Gebiete Ecuadors, eines der Gebiete mit den meisten Menschenrechtsverletzungen in diesem Land.

Nach zwei endlos erscheinenden Stunden Warten am eisigen „terminal terrestre“, dem größten Busbahnhof von Quito, konnte es endlich losgehen und nach einer beständig wärmer werdenden Busfahrt stiegen wir am nächsten Morgen im schwül-warmen Lago Agrio aus dem Bus. Quasi direkt begannen wir zu schwitzen und schwangen uns auf ein Pick-Up-Taxi zum verabredeten Treffpunkt „Hotel de Mario“, wo uns unser Führer schon erwartete. Nach kurzem Zwischenfrühstück in der Panadería (Bäckerei) und langem Warten auf die Buseta, die uns bis ins Naturschutzgebiet selbst hineinbringen sollte, begann die Reise durch den Oriente. Auf einer breit ausgebauten Straße, die besser instand gehalten zu werden scheint, als die Panamericana fuhren wir immer begleitet von der die Straße säumenden Pipeline tiefer und tiefer in den Oriente hinein. Kaum Bevölkerung war auszumachen, auch wenn die Straße von breiten, bebaubaren Flächen gesäumt wurde. Von Primärurwald keine Spur, hin und wieder waren in einiger Entfernung einige Flecken von Sekundärwald zu beobachten, die jedoch mehr an den Wald der ecuadorianischen Küste erinnerten, als an Amazonasdschungel.
Endlich, nach drei Stunden Fahrt, hatten wir das Naturschutzgebiet Cuyabeno erreicht.

Wir hielten an einer Brücke über einen breiten, brackigbraunen Fluss, die Pipeline verschwand auf der anderen Seite im dichten Wald, der sich endlich vor uns auftürmte. Die hier wartenden Regierungsbeamten, ein ziviler Schreiberling und zwei Marinesoldaten, ließen uns nach längerer Diskussion unseres Führers auch tatsächlich mit Censo zu ecuadorianischen Preisen in den Nationalpark. So aßen wir in einem holzgezimmerten Restaurant schnell zu Mittag, bevor wir in das nächste Transportmittel umsattelten: Der motorisierte Einbaum wartete schon voll beladen auf uns, als wir mit gefülltem Magen die Weiterreise antreten wollten.
Mit Rettungswesten ausgestattet und dem gerade erworbenen Eintrittsticket bewaffnet setzten wir fünf uns noch etwas skeptisch in das schmale, wackelige Boot und wurden von unserem Fahrer begrüßt, der uns für die nächste Zeit Tag und Nacht begleiten sollte. Dann ging das Dschungelabenteuer los. Mit knatterndem Motor fuhren wir den Fluss hinunter, die Pipeline abgelöst von breiten Lianen, die sich die Bäume hinaufhangelten und fremdartigen roten Blumen, die das Schilf am Uferrand krönten. Immer wieder stiegen Schwärme von tropischen Vögeln auf, die leuchtend gelben Schwänze leuchteten im Sonnenschein. Gigantische, mit dünnen Lianen, wie Bärten geschmückte Urwaldriesen erhoben sich wie Wächter links und rechts des Flusses, das tiefgrüne Dickicht zwischen ihren Stämmen ließ keinen Blick hindurch. Wir waren noch ganz in den Anblick der schmarotzenden Orchideen vertieft, die auf den Stämmen der über den Fluss geneigten Bäume blühten, als plötzlich der Motor erstarb und wir über das Wasser gleitend zum Stillstand zeigten. Unser Fahrer bedeutete uns still zu sein und zeigte die Bäume hinauf, wo wir zunächst nichts zu entdecken vermochten.
Dann kam plötzlich Bewegung auf und eine Affenhorde schwang sich in den Baumwipfeln umher, die Guaba-Frucht aufbrechend und essend. Begeistert beobachteten wir die Kapuzineräffchen bei ihrem Festmahl, was diese uns damit dankten, die Fruchtkerne nach dem Kanu zu werfen. Lachend machten wir uns wieder auf den Weg, kamen an einigen anderen Dschungellodges vorbei und erreichten schließlich nach insgesamt drei Stunden Bootsfahrt unsere eigene Unterkunft.
Hier wurden wir von der ganzen Familie des Tourveranstalters begrüßt, konnten uns in einem riesigen Holzpavillon einquartieren, auf dessen Boden bettgroße Moskitonetzzelte aufgebaut waren, die mit Matratzen ausgelegt waren und sich als erstaunlich bequem erweisen sollten. Nach der Versicherung des Guides, dass ein Bad im Fluss vollkommen ungefährlich wäre, stürzten wir uns in die kühlen Fluten, um auf die anschließende Frage, ob es denn hier gar keine Piranhas gäbe, nur ein verständnisloses „Natürlich gibt’s die!“ zu ernten. Wie uns der Guide erklärte, greifen diese aber nur unbewegliche oder blutende Ziele an und das Anakondarisiko wäre momentan auch recht gering. Einigermaßen geschockt begingen wir das erstaunlich reichhaltige Abendessen, um danach zur ersten Dschungeltour aufzubrechen. Im nachtschwarzen Dschungel mit Taschenlampen unterwegs wanderten wir in Gummistiefeln über den erstaunlich trockenen Pfad, stiegen über morsche Stämme und bekamen zahlreiche Insekten zu sehen.
Von hübschen Schmetterlingen über den Ästen gleichenden Heuschrecken bis zu handtellergroßen Spinnen konnten wir einiges beobachten und durften auch noch unsere Nachspeise probieren: Zitronenameisen, die ihrem Namen alle Ehre machten und einen süßlichsauren Geschmack hatten.
Nach dem Vorstellen erster Dschungelheilpflanzen kamen wir zurück ins Camp, pflückten uns noch eine Naranjilla zum Essen und legten uns ins Bett, um für den nächsten Tag gestärkt zu sein.
Daraus wurde jedoch so schnell nichts, da sich Motorista und Guia Victor ebenfalls unter dem palmgedeckten Dach einquatriert hatte. Kurze Zeit nachdem wir uns schlafen gelegt hatten leuchtete auch schon die Kontrolllampe herum, wurden die Kerzen ausgeblasen und die Köchin des Camps ins Zelt geholt, woraufhin der Pavillon unmissverständlich zum Wackeln gebracht wurde...

Der nächste Tag begann zu angenehmen 7 Uhr morgens, wir konnten gemütlich frühstücken und ein Bad im Fluss nehmen, bevor wir im Boot aufbrachen, um unsere nächste Dschungelwanderung zu starten. Ein ganzes Stück vom Camp entfernt abgesetzt wollten wir uns durch den Dschungel kämpfend einen Weg zurück suchen, natürlich immer begleitet von Guide und Bootsfahrer Victor. Auch auf dieser Wanderung gab es wieder einen Haufen Käfer und Spinnen zu sehen, zudem zeigte uns Victor einige Tricks zum Überleben im Dschungel, baute uns eine Tierfalle und öffnete uns den Kokon einiger essbarer Larven. Auch in das Geheimnis des „Dschungeltelefon“ in Form eines bestimmten Urwaldriesen mit besonders ausgeprägten Wurzeln, die sich wie Mauern um den Stamm herum erhoben und von den Eingeborenen als „casa del duende“, Haus des Dschungelgottes angesehen werden, wurden wir eingeweiht.
Mitten auf der Wanderung machte der Regenwald endlich seinem Namen alle Ehre und von einem Moment auf den anderen wurde es düster um uns herum und ein gewaltiger Niederschlag begann. Glücklicherweise standen wir gerade unter einem der Urwaldriesen, so dass Victor uns kurzerhand aus einigen der breitgefächerten Blätter ein Dach über den Wurzeln baute und wir erstaunlich trocken blieben. Natürlich hatte ich mit meiner Zeit unter den ganzen verlockend herabhängenden Lianen nichts besseres zu tun, als mich auf meine Tarzanqualitäten zu testen, ruckelte einige Male an der dicksten Liane und begann dann mit den Worten Victors im Ohr „Die hält, ich halt sie dir fest...“ den Aufstieg. Ich hatte den Boden keinen halben Meter unter mir gelassen als mit einem Knarren und einem Knall die seildicke Liane riss und mein Tarzanabenteuer statt mit Jane mit einem blauen Auge und einer kaputten Brille belohnt wurde.
Immerhin hatte ich die Stimmung der gesamten Gruppe wieder deutlich aufgehellt und als der Regen nach einer halben Stunde nicht aufgehört hatte, machten wir uns eben auch ohne die vergessenen Regenponchos wieder auf den Weg, um den Moskitoschwärmen zu entkommen, welche unter dem improvisierten Dach über uns hergefallen waren.
Wir überquerten einen schmalen Arm des Cuyabenoflusses mit Hilfe einiger hineingefallener Baumstämme, beobachteten Victor bei einer spektakulären Machetenrettungsaktion, weil sie ihm in den Fluss gefallen war und kamen schließlich wieder erfolgreich im Camp an. Nach Mittagessen und Erholungspause setzten wir uns wieder in den Einbaum und besuchten eine Eingeborenenkommune.
Hier wurden wir schon erwartet und nach der Tourizahlung von $2 wurden wir in die Herstellung von „pan de yuca“ (Brot aus der Yucawurzel) eingeweiht, was mich im Geschmack ein wenig an schwedische Cracker erinnerte und mit Marmelade ganz hervorragend schmeckte.

Im Camp zurück setzten wir uns gemeinsam an den Abendbrottisch, um daraufhin in der einbrechenden Dunkelheit von den herumschwirrenden Moskitos regelrecht aufgefressen zu werden. Allein einer meiner Knöchel kam auf über 70 Stiche, die sofort anschwollen und höllisch zu jucken begannen. Nach dem Abendessen war der Juckreiz kaum mehr auszuhalten und ich fragte Victor nach einer Heilpflanze für die Stiche.
Einen Moment überlegte er und brachte mir dann – Eine Brennnessel.
Ungläubig starrte ich ihn an, doch da mir mittlerweile alles recht war, um nur diese höllischen Stiche loszuwerden ließ ich alle meine Stiche mit der bösartig aussehenden Brennnessel abklopfen. Und tatsächlich: Nachdem das anfängliche Brennen der Säure vergangen war blieb nichts als ein leichtes Gefühl der Wärme zurück, der Juckreiz sollte für die nächsten zwei Tage nicht zurückkehren. Ermuntert von meinem Beispielen ließen sich auch die anderen mit der Brennnessel „behandeln“, so dass die Holzhütte mitten im Dschungel für eine Viertelstunde den Touch eines exotischen S&M-Clubs bekam.
Zum Abschluss des Tages zündeten wir uns die gesammelten Dschungelzigaretten an, die trockenen Äste eines bestimmten Baumes, die erstaunlich gut schmeckten, aber wie uns Victor zuvor versichert hatte, keinerlei Rauschwirkung hatten. Nachdem wir noch einen schlafenden Schmetterling entdeckt hatten, der es sich bei uns im Pavillon gemütlich gemacht hatte und eine Flügelspannweite meiner aneinander gelegter Hände hatte, fielen wir alle müde ins Bett. Nur einen unter dem Dach schien der Tag nicht erschöpft zu haben...

Der nächste Tag sollte einen vollständigen Tagesausflug beinhalten und gespannt auf die Lagune, an der es Delfine und Anakondas geben sollte setzten wir uns ins Boot, diesmal nicht nur begleitet von Victor sondern auch einer Einheimischen, die uns als eingeborene Führerin noch mehr zeigen sollte. Als unser Boot durch die glänzenden Wasser der hell im Sonnenlicht daliegenden Lagune schnitt bewunderten wir alle die breiten Bäume, welche direkt aus dem Wasser emporwucherten und das Ufer der Lagune unsichtbar machten. Von der intensiven Amazonassonne schwitzend schwammen wir einige Runden im kühlen Lagunenwasser, bevor wir uns auf Anakondasuche machten. Leider war diese nicht von Erfolg gekrönt und etwas enttäuscht legten wir an einem Dschungelpfad an und machten uns auf eine weitere Rundwanderung. Hier stellte uns die Einheimische eine ganze Menge verschiedener Heilpflanzen vor, unter anderem einen Baum dessen Rinde gegen Malaria helfen soll. Auch flocht sie einen Rucksack aus einem großen fächerförmigen Blatt und wir verwandelten Paul mit Hilfe einer Blätterhandtasche, Blümchen hinter dem Ohr, Krone und Blätterröckchen in eine waschechte Indiobraut, bevor wir zum Mittagessen wieder zum Kanu zurückkehrten.
Nach der Sichtung einiger Tukane und einer gigantischen, hochgiftigen Spinne sollten wir noch für das heutige Abendessen sorgen: Wir machten uns auf Piranhafang.
Schon am ersten Platz, den wir paddelnd erreichen mussten, da Motoren in dieser Gegend wegen dem Seekuhvorkommen verboten ist, fingen wir nach kurzer Zeit die ersten zwei Piranhas, die erstaunlich harmlos aussahen. Erst als Victor sein allgegenwärtiges Messer wie Futter in das Maul des Fisches schob, wurden die riesigen Zähne sichtbar, mit denen er seine Beute auseinanderreißt. Von da an verließ uns unser Angelglück, bis wir mehrfach den Ort gewechselt hatten und schließlich einen Platz fanden, an dem auch ich meine zwei Piranhas aus dem Wasser zog und Paul mit einem ganzen Schwarm von Katzenfischen auftrumpfte.
Mit der Gewissheit auch diesen Abend etwas auf dem Tisch zu haben kehrten wir in der Abenddämmerung an die Lagune zurück und erwarteten schwimmend und Fotos schießend den Sonnenuntergang. Paul beeindruckte alle mit seinen schwimmend aus dem Wasser aufgenommenen Fotos (auf meinen Picasaalben zu bewundern) und schließlich tauchte auch die Sonne in einen roten Schleier gehüllt in das grüne Meer des Dschungels ab.
In der nahezu vollkommenen Dunkelheit des nächtlichen Dschungels, die Wasseroberfläche nur im Licht des Mondes und der zauberhaft hellen Sterne glänzend kehrten wir wieder ins Camp zurück, wobei Victor am Steuer unglaubliche Katzenaugen bewies und nahezu jedes Hindernis im Wasser voraus zu ahnen und geschickt zu umsteuern.
Zum Abendessen gab es dann auch tatsächlich die selbstgefischten Piranhas, wobei die Zähne gleich viel gefährlicher aus dem gegrillten Fleisch hervorblitzten, als es noch zuvor im Boot der Fall gewesen war. Mit Knoblauch abgeschmeckt und ein wenig Zitrone beträufelt – wie das hier in Ecuador ja bei jedem Gericht üblich ist – schmeckten die fleischfressenden Biester richtig gut und erstaunlich wenig nach Fisch.
Nach der abendlichen Brennnesselgeißelung im Anschluss ans Essen legten wir uns erwärmt aber juckreizfrei in unsere Moskitonetzzelte und schliefen schon bald tief, begleitet von dem allabendlichen Wackeln des Pavillonbodens...

Der nächste und letzte volle Tag unserer Dschungeltour war einer weiteren Dschungelwanderung und dem Besuch eines Schamanen gewidmet. Mit dem Boot ein Stück entfernt abgesetzt, erreichten wir das große komfortable Haus des Schamanen nach einer halbstündigen Wanderung mit der Einheimischen und ihrem Sohn durch die Wildnis. Der Höhepunkt dieser Wanderung waren drei Ceibo-Bäume (die schon zuvor beschriebenen Urwaldriesen mit gigantischen Wurzeln) und eine aufgestellte Tafel, die das Vorkommen von Riesenottern im Nationalpark beschrieb, ohne das wir die Tiere jedoch zu Gesicht bekamen.
Der Schamane hatte nicht Besseres zu bieten. Nach Einsacken der üblichen $2 Tourigebühr bekamen wir in einem fünfminütigen Vortrag auf unverständlichem Spanisch erzählt, wie viele amerikanische Ärzte schon seine Hilfe erbeten hätten, wurde ich unter Gesang und Blattgewedel von allen bösen Geistern befreit und dann ging es auch schon wieder zurück.
Unterwegs hielten wir in einer anderen Kommune an, wo wir uns zwei Stunden lang ein Fußballspiel anschauen durften, wobei die einzige Erkenntnis jedoch blieb, dass Fußball wohl ein tatsächlich universelles Spiel ist.
Nach der Rückkehr am späten Nachmittag versprach uns Victor immerhin noch, mit uns in der Nacht auf Kaimansuche zu gehen und den nächsten Morgen früh mit einer Vogelbeobachtungstour zu beginnen.
An diese Initiative glaubte zunächst niemand so richtig, schon allein weil sie erst von uns angeleiert werden musste. Zudem verschwand Victor gleich nach Rückkehr in seinem Zelt, wohin ihm schon bald seine Köchin folgte...
Wir Freiwillige begnügten uns am Essenstisch jedoch mit der Weitergabe deutscher Kultur und brachten der Schweizerin Franziska Skat bei, unterhielten uns und rissen einen Haufen schlechter Witze („Was hat 4 Beine und nur einen Arm?“ - „Ein Pittbull auf dem Kinderspielplatz.“), bevor es endlich Abendessen gab und wir, oh Wunder, im Boot mit Taschenlampen bewaffnet auf Kaimansuche gingen.
Wieder bewies Victor einen unheimlichen sechsten Sinn und wir kurvten den trägen Rio Cuyabeno hinauf, während uns Abermillionen Motten und Moskitos umschwirrten, verfolgt von blitzschnell zuschlagenden Fledermäusen. Mit den Lichtern das Ufer ableuchtend hielten alle Ausschau nach im Lichtstrahl aufblitzenden Kaimanaugen.
Und tatsächlich, keine fünf Minuten nach Abfahrt leuchtete uns aus dem Uferdickicht ein Paar glutroter Augen an. Mit gedrosseltem Motor näherten wir uns vorsichtig dem Kaiman, die Fotoaparate griffbereit an der Hand, bis unsere Lampen alles ausleuchteten... und sich der Kaiman als schlafender Vogel herausstellte, dessen Augen jedoch ebenso bösartig rot glühten.
Enttäuscht ging es mit Vollgas weiter den Fluss hinauf und schließlich in einen ruhigen Seitenarm hinein, der laut Victor die höchsten Chancen für die Kaimansichtung bot. Hier kamen wir jedoch auch in den zweifelhaften Genuss eines naturbelassenen Flusslaufes im Amazonasgebiet. Ständig mussten herabgefallene Stämme im Wasser umfahren oder überfahren werden, herabbaumelnden Riesenspinnen ausgewichen werden und nachdem wir einen quer über dem Fluss liegenden Baum erfolgreich unterfahren hatten, stellte sich der Flussarm schließlich als Sackgasse heraus.
Einige Bäume waren schon vor langer Zeit umgefallen, die Seestraße vollkommen blockierend.
Enttäuscht, keinen Kaiman gesehen zu haben, aber doch zufrieden immerhin etwas unternommen und ein Dschungelflussabenteuer erlebt zu haben, kehrten wir also auf dem selben Weg wieder ins Camp zurück. Wieder schaffte es Victor, den Außenbordmotor trotz unter der Wasseroberfläche treibender Stämme ohne Schaden nach Hause zu bringen und es ging aufgeregt plaudernd ins Bett.
Selbst Victor verzichtete auf die allabendliche Pavillon-Stabilitätsprüfung und wir schliefen rasch ein, darauf eingestellt am nächsten Morgen früh zur Vogelbeobachtungswanderung geweckt zu werden.
Was aber nicht geschah. Ich wachte zwar in der Morgendämmerung zum sanften Prasseln des Amazonasregens auf, war aber ganz froh, dass kein Victor vor meinem Zelt stand und ich statt durch den kalten Dschungelschlamm zu kriechen noch weiterschlafen konnte.
So bestand unser letzter Morgen im Dschungel nur noch aus Frühstück, Kofferpacken und der Abgabe konstruktiver Kritik, die uns Victor abforderte, bevor wir uns auf die dreistündige Bootsfahrt zurück zum Reservatseingang machten und von dort bald wieder im Bus nach Hause saßen...