Wie häufig in den letzten Wochen verbrachte ich vor kurzem wieder einen Abend bei tio Pedro und Familie, was hauptsächlich aus gemeinsamen Essen, Hausaufgabenhilfe für prima Wendy und Handyspiele für primo Zaul bestand. Auch den Erzählungen von der Arbeit auf nicht ganz einwandfreiem Spanisch wird immer gerne gelauscht, generell scheint hier der Gesprächsstoff nicht allzu umfangreich zu sein, so dass Abwechslung von den Themen Familie und Dorfgeschehen immer gerne gesehen wird.
Ich wollte mich schon fast wieder auf den zehnminütigen Weg zurück ins Tal machen, als Wendy noch schnell einwarf: „Kennst du eigentlich schon El Chaco?“
El Chaco, hinlänglich bekannt durch die Raftingberichte von meinem ehemaligen Lehrerkollegen Diego liegt im Oriente von Ecuador, etwa vier Fahrtstunden östlich von Quito und ist eine der ersten touristischen Anlaufstellen für Dschungeltouren. Die Frage verneinend erzählte Wendy weiter, dass sie einen Schulausflug dorthin machen wolle und lud mich kurzerhand ein, mitzukommen. Auf eigene Faust auch noch Reisekumpan Paul einladend nahm ich das Angebot an und so fanden wir uns Samstagmorgen um 6 Uhr morgens am Rande Cumbayas ein, um den Schulbus des Colegio Militar zu erwarten.
Nach der in Ecuador üblichen dreiviertel Stunde nach verabredetem Zeitpunkt konnten wir uns dann auch endlich in den Bus setzen und wurden dort von ca. 50 neugierigen Achtklässlern in voller Uniform erwartet, welche die Fahrt über kaum ein Augen von den beiden Weißen lassen konnten. Dabei erwies es sich wieder einmal als äußerst angenehm, mit Paul zu reisen, da ein großer, blonder Deutscher natürlich wesentlich interessanter ist, als meine dunkelhaarige Wenigkeit. Nach den üblichen Stories über Herkunft, Vergleiche Deutschland – Ecuador und Unterhaltungen mit den begleitenden Lehrern kamen wir zum Ziel des pädagogischen Ausfluges: Eine Ölpumpstation im ecuadorianischen Dschungel, an welcher der Direktor der Schule erst einmal mit den verantwortlichen Ingenieuren den Eintritt zu verhandeln hatte, bevor es hinein ging. Wir hörten uns eine kurze, chaotische und vollkommen inhaltsfreie Vorstellung der Anlage durch einen Ingenieur an, die zu allem Übel auch noch zum Großteil von den nebenan arbeitenden Pumpen übertönt wurde und verließen dann schnell wieder die Anlage. Nicht ohne vorher das hervorragende Wiederaufbereitungsbecken zu begutachten, dem angeblich kein Tropfen Verunreinigung in den nahe gelegenen Fluss entweichen sollte.
Von den großen Schornsteinen, welche die Abluft der Pumpen in die Luft entließen, von dem über Kilometer hinweg zu hörenden Lärm der Pumpen, den immer wieder aufgrund von Wartungsmängeln vorkommenden Brüchen der Ölpipeline oder gar den Förderungsmethoden natürlich keine Rede.
So beendeten wir, meiner Meinung nach ohne jeglichen Wert für die Schüler, diesen Abschnitt des Schulausflugs und gingen Mittagessen. Danach verabschiedeten wir uns von den Primitas und ihren Mitschülern, weil diese den Rest des Tages im westlich gelegenen Papallacta verbringen wollten, während unser Weg uns wieder nach Osten zum Reventador führte.
Mit der guten alten Daumenraus-Methode fanden wir auch bald einen Pickup, der uns bis vor die Haustür der einzigen Herberge im Umkreis des Reventadores fuhr. Unterwegs konnten wir mit eigenen Augen begutachten, was mit den Schülern nicht klar geworden war. Wir kamen an einer Öl-Unfallstelle vorbei, und der Fahrer erklärte uns, dass hier vor einigen Monaten noch alles schwarz vor Öl gewesen war. Selbst jetzt, nach 8 Monaten Säuberungsarbeiten waren immer noch einige schwarze Lachen zu sehen. Niemand weiß, wie lange das Zeit hatte in den Boden zu sickern und das Grundwasser zu vergiften, bevor die staatliche Ölgesellschaft die Notwendigkeit sah, überhaupt mit den Renaturierungsmaßnahmen zu beginnen.
Am Hostal angekommen erwartete uns zunächst einmal ein Schock. Laut Hotelpage und Koch vom anderen Ufer gab es keine Zimmer mehr. Ratlos schauten wir uns, wie konnte ein Hostal außerhalb der normalen Feiertage an einem verhältnismäßig untouristischen Ort wie hier bis aufs letzte Bett ausgebucht sein?
Mit dem Hoffnungsschimmer, dass der abwesende Chef vielleicht doch noch ein Zimmer auftreiben könnte, besichtigten wir erst einmal den höchsten Wasserfall Ecuadors, die Cascada San Rafael. Ein schlecht begehbarer, halbstuendiger Weg fuehrte dorthin, zwischendurch ging es noch an einem Pfoertner vorbei, der uns eigentlich $10 haette abnehmen sollen, uns aber ohne Nachfrage so reinliess. Schon bald erreichten wir den Aussichtspunkt auf den Wasserfall und waren alle beide – beeindruckt.
Gigantische Wassermassen waelzen sich die 140 Meter hinunter, scheinen so langsam zu fallen, dass man einzelne Schwaden dabei verfolgen kann. Dazu droehnt ein gewaltiges Grollen durch den Kessel, in dessen Mitte das herabstuerzende Wasser verborgen im Spruehnebel auf den See trifft.
Bewundernd hielten wir eine halbe Stunde inne, den Wasserfall betrachtend, bevor wir wieder zurueck ins hostal gingen.
Hier erwartete uns die gute Nachricht, dass doch noch ein Zweibettzimmer verfuegbar waere und die Erklaerung fuer die Vollbelegung: Die fuer das Oel-Unglueck zustaendigen Arbeiter waren alle im gleichen hostal untergebracht.
Immerhin hatten wir uns nun eine Unterkunft fuer die Nacht gesichert, waere nichts mehr in diesem hostal frei gewesen, haetten wir die Nacht wohl unter freiem Himmel verbringen muessen.
So konnten wir aber beruhigt zu Abend essen, uns einen Fuehrer fuer die Reventadorwanderung am naechsten Morgen organisieren – der sich als der Hotelpage herausstellte – und nach einem erfrischenden Sprung in den von frischem Flusswasser gespeisten Pool frueh zu Bett gehen.
Immerhin hatten wir uns mit unserem Guide fuer 6 Uhr am naechsten Morgen verabredet.
So standen wir wie schon am tag zuvor um 5 auf, sprangen zum Aufwachen nocheinmal in den Pool, fruehstueckten unser gewohntes Toni-Marmeladen-Pan-Fruehstueck und fanden uns puenktlich um 6 am verabredeten Treffpunkt ein. Wie in Ecuador ueblich war unser Fuehrer natuerlich erst um viertel vor Sieben anwesend, woraufhin wir aber zuegig loswanderten. Schliesslich hatten wir dem Jungen versprochen, Mittags wieder zurueck zu sein. So ging es durch tiefsten Matsch in geliehenen Gummistiefeln an der Oelpipeline vorbei in den Dschungel hinein.
Zwar war auf unserer Hoehe von 1800 Metern noch nicht von richtige, Dschungel zu sprechen, den man sich als Mitteleuropaeer so vorstellt, aber was Matschaufkommen und Luftfeuchtigkeit anging, machte der Weg seinem Namen alle Ehre.
Nach zweieinhalb anstrengenden Stunden Matschwanderung, die zu allem Ueberfluss auch noch hauptsaechlich bergauf ging, hatten wir dann endlich unser Ziel erreicht. Eine weite, feuchte Ebene lag vor uns, nur mit Moos, Flechten und einigen niedrigen Straeuchern bewachsen. Das sei der Ausbruch von 2005, meinte Flo zu uns. Weiter ging der Weg durch die wie verzaubert daliegende, nebelverhangene Landschaft, in der mit Tau behangene Spinnennetze in den Straeuchern glaenzten.
Vollkommene Stille lag ueber dem gesamten Bild, dass ich mir wie in einem Maerchen vorkam.
Nach einer weiteren kurzen Wanderung durch diese Landschaft, deutete Flo auf einmal nach vorne und erklaerte: „Das sind die Reste des Ausbruchs vom letzten August!“
Vor uns lagen riesige Steinhaufen, still und scharfkantig. Mit einem Grinsen ueber unsere Gesichter begann Flo den Aufstieg des naechsten der 15 Meter hohen Steinhaufen und rasch ueberwanden wir unser Staunen und folgten ihm hinauf. Die unbequeme Kletterei ueber scharfkantige Steine, die sich bei jedem Tritt zu loesen schienen lohnte sich jedoch, als wir oben ankamen. Um uns herum nur Nebel und die dunklen, chaotisch uebereinander geworfenen Steine kam ich mir vor, wie am Ende der Welt. Dampfend breitete sich soweit der Nebel es zuliess nichts als schwarzer Stein aus, kein Felckchen Gruen dazwischen. Aus allen Spalten der Gesteinshaufen erhob sich kraueselnd heisser Dampf. Selbst jetzt, acht Monate spaeter, waren die Steine im Innern dieser Haufen noch heiss genug, um das Regenwasser verdampfen zu lassen.
Uns genuesslich in den heissen Dampf setzend verzehrten wir die mitgebrachte Zwischenmahlzeit und unterhielten uns ueber den Vulkan und seine Ausbrueche. Der einzige Wermutstropfen der Wanderung war, dass aufgrund all des Nebels keine Spur vom Vulkan selbst zu sehen war. Doch so hatten wir immerhin die geheimnisvolle Landschaft um uns herum, die sich unseren Fuehere auf dem Rueckweg sogar kurz verirren liess. In all dem Nebel und der ueberall gleich aussehenden Landschatf verloren wir alle kurz unsere Orientierung, fanden dann aber schnell wieder auf den richtigen Weg zurueck und betraten einmal mehr den Dschungel.
Der Rueckweg war deutlich leichter, weil immerhin hauptsaechlich bergab, auch wenn Flo auf einmal eine Verfolgungsjagd starten zu muessen meinte, die mit einem verdrehten Fuss meinerseits endete. Endlich kamen wir wieder am Hostal an, alle vollkommen verdreckt und erschoepft, aber sehr zufrieden mit dem Ausflug. Mit einem Blick auf die Uhr bestaetigte sich auch unsere Selbsteinschaetzung, denn wir hatten die siebenstuendige Wanderung in nur Fuenf geschafft.
So konnten wir uns beruhigt in den Bus nach Hause setzen, der mich sogar angenehmerweise nicht erst im Sueden Quitos absetzte, sondern schon im Nachbarort Cumbaya...
PS: Fotos sind oben...
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